Jim Coles ist ein Kind der 80er. Von der Wiege an prägten ihn die Ideen von Science Fiction und Synthesizer-Musik, die sich in Gestalt von Bladerunner und Vangelis in seinem jugendlichen Unterbewusstsein manifestierten. Er erlebte die Geburt von Dance-Musik in England und beobachtete aufmerksam lauschend, wie sich Jungle und Drum & Bass-Platten auf den Turntables seiner Teenager-Jahre drehten. Doch den Wegen, die Drum & Bass kurz vor der Jahrtausendwende einzuschlagen begann, wollte er von Unverständnis erschüttert nicht länger folgen und wandte sich ab. Die Folgen waren drei Hip Hop-Alben zwischen 2004 und 2008 unter dem Alias 2Tall, die die Geschichte des Produzenten Jim Coles zu erzählen begannen. 2010 kehrte er dann aber unter dem neuen Pseudonym Om Unit zurück in die Breakbeat-Liga und sein selbst betitelter slow-fast-Stil, der kein Genre, sondern einen Produktionsstil beschreiben soll, fand sich schnell auf Labels wie Metalheadz, Exit und Civil Music wieder. Letzteres brachte auch sein Debütalbum Threads heraus. Die Kombination aus schleppenden Backbeats und hektischer Percussion ist zu einem Spielplatz für Breakbeat-Frickler wie Om Unit geworden, die sich an retro-futuristischen Ideen des Hardcore Continuums abarbeiten. So platziert auch Jim immer wieder Versatzstücke aus Jungle, Drum & Bass, UK Garage, Dubstep, Footwork und auch Hip Hop in seiner Musik, die wie Geister von einem verblassenden Zeitgeist des letzten Jahrtausends erzählen.
2011 rief Jim Coles dann sein eigenes Label Cosmic Bridge ins Leben, das eine Anzahl ihm gleich gesinnter Künstler versammelt. Die Label-Familie aus Kromestar, Moresounds, EAN, Danny Scrilla, Boxcutter und natürlich Om Unit selber findet sich nun geschlossen auf der Cosmology-Compilation wieder, die am 21. Juli erscheint. Auf Basis des slow-fast-Stils – egal ob bei 140, 160 oder 170 Bpm – wurde ein dystopisch klingendes Sound-Konglomerat aus genannten Einflüssen erschaffen und der Geist des Labels Cosmic Bridge auf den Punkt gebracht. Wir sprachen mit dem Kurator und Label-Inhaber Jim Coles über die Cosmology-Compilation, das retro-futuristische in seiner Musik und die Spuren des Hardcore Continuums.

(An english version is available here.)

In einem Interview hast du mal die Produktion deines Albums Threads mit dem Erzählen einer Geschichte verglichen. Ist das Kuratieren einer Compilation ein ähnlicher Prozess, nur dass es die Geschichte verschiedener Personen ist?

Ich denke, Cosmic Bridge ist eine Art Feedback-Schleife, weil ich dazu tendiere, Musik zu signen, die sehr stark von dem beeinflusst ist, was wir in der Vergangenheit bereits gemacht haben. Es dokumentiert den Entstehungsprozess von allen, die in das Label involviert sind. Der Cosmology-Sampler erzählt also von der Evolution der einzelnen Künstler des Labels und führt ihre individuellen Geschichten zusammen.

Was muss ein Track haben, damit du ihn für solch eine Compilation auswählst?

Ich treffe diese Entscheidungen weitgehend aus dem Bauch heraus. Ein Track muss ein bestimmtes Gefühl vertreten und einen Platz innerhalb des Stils haben, den wir zu pushen versuchen. Bei dieser Compilation gehören alle Künstler zum ersten Schwung von Cosmic Bridge. Es war mir wichtig, ihren Sound nochmal zu festigen, bevor die Label-Familie demnächst erweitert wird.

In was für einer Beziehung stehst du zu den Künstlern auf Cosmic Bridge? Geht es nur um die Musik oder seid ihr gute Freunde…?

Wir sind eine Art loses Kollektiv mit mir als Leitung. Aber ich habe die Jungs in den letzten drei Jahren sehr gut kennengelernt und wir haben zusammen gespielt und abgehangen so viel wir konnten. Es geht bei uns also nicht nur um die Musik, sondern wir verstehen uns als gute Freunde. Eine Exklusivität zum Label gibt es allerdings nicht. Ich mag jedoch den Gedanken, einigen von ihnen zum Durchbruch verholfen zu haben. Danny Scrilla hatte sein erstes Release bei uns, Moresounds sein erstes Vinyl und EAN veröffentlichte erstmal unter diesem Pseudonym. Kromestar und Boxcutter waren zwar bereits etabliert, aber beiden konnte ich eine neue Plattform bieten, auf der sie sich abseits ihres Trademarks austoben können. Und genau das stelle ich mir für Cosmic Bridge vor.

Die Musik auf Cosmic Bridge sowie auch deine eigene, klingt für mich etwas dystopisch und sehnsüchtig, gewissermaßen auch retro-futuristisch, als hätte sie etwas in der Vergangenheit verloren. Hast du etwas in der Vergangenheit verloren?

Das ist eine gute Frage. (überlegt länger) Ich denke, es ist ein Element dieses Soundtrack-Stils. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das retro-futuristisch ist. Alle reden immer über Bladerunner und Vangelis, wenn es um das Label oder meinen Sound geht. Es steckt sicherlich auch ein Element davon im Geist der Musik, aber es sollte nicht darauf reduziert werden. Es ist mehr als einfach nur retro-futuristisch. Ich mag Sound, der Bilder kreiert, und ich mag Musik, die lebendig klingt, als hätte sie eine eigene Seele. Bei Cosmic Bridge geht es darum, diese Seele einzufangen.
Aber ich kann verstehen, dass Rhythmus und Struktur der Musik mit einem dystopischen Gefühl assoziiert werden. Ein gutes Beispiel ist, dass dieses Jahr noch eine EP erscheinen wird, die den Titel Post Human trägt. Und diese ganze Idee des Post Humanismus inspirierte den Künstler, der sie gemacht hat.
Für mich ist etwas in dem Namen Cosmic Bridge, das all dies zu verbinden scheint. Es ist wie du sagst, eine Sehnsucht, eine höhere Verbindung zu erreichen, die über das tägliche Leiden der Welt hinausgeht. Aber es ist sehr schwer zu quantifizieren, weil es am Ende doch nur Musik ist, die ohne Lyrics zur Interpretation offen steht. Deshalb versuche ich auch nicht diese Agenda zu forcieren. Wenn die Leute dazu tanzen, bin ich zufrieden. (lacht)

Aber ist denn nicht genau dieser Wunsch nach einer höheren Verbindung sehr eng mit dem Gedanken von Science Fiction aus den 80ern verbunden?

Ich denke ja. Es geht vielleicht darum etwas höheres zu erreichen. Speziell die 70er Jahre Science Fiction Artwork, wo die Leute visuell realisiert haben, dass irgendwo eine erstaunliche Welt existieren könnte. Es mag etwas eskapistisch klingen, es ist aber gut für die Fantasie. In den 80ern und auch noch in den 90ern war die Popkultur noch von vielmehr Fantasie durchdrungen und schien die Vielfalt in noch höherem Maße zu zelebrieren als heute. Das gilt speziell für Science Fiction. Star Wars, Bladerunner, Star Trek, Fernsehsendungen wie X-Files und Outer Limits – die Liste geht endlos weiter – das kam alles in dieser Zeit.

Wie alt bist du? Bist du in dieser Zeit groß geworden?

Ich bin 34. Also ja, ich bin in den 80ern groß geworden und wurde definitiv von Synth Music beeinflusst. Ich erinnere mich, wie ich als Kind Chariots of Fire von Vangelis gehört und Jean Michel Jarre im Fernsehen spielen gesehen habe. Und ja, ich habe in den frühen 90ern die Geburt von Dance Music miterlebt. Das hat mich definitiv berührt.

Was ist mit den anderen Künstlern auf Cosmic Bridge? Weißt du wie alt sie sind?

Wir sind alle in den späten 20ern bzw. frühen 30ern. Also da gibt es definitiv viele Schnittmengen.

Drum & Bass schien nach meiner Auffassung viele Jahre lang nicht wirklich relevant im Kontext zeitgenössischer Bass-Music gewesen zu sein. Doch durch Künstler wie dich, Machinedrum oder Sam Binga und durch Labels wie Metalheadz und Exit nimmt Jungle und Drum & Bass wieder eine wichtige Rolle für die Bass-Music-Bewegung ein. Was glaubst du woher dieser neue Enthusiasmus kommt?

Ich kann natürlich nur für mich sprechen. Jüngst war ich sehr beeinflusst davon, dBridge und den Autonomic-Sound zu hören. Was die gemacht haben brachte ganz neue Ideen in die grundlegenden Strukturen von Drum & Bass, wenn es überhaupt noch Drum & Bass war. Um 99, 2000 rum war ich mit Drum & Bass gewissermaßen durch, weil es einfach zu hart und zu schnell gepusht wurde. Alles was nach 98 kam fühlte sich an, als wäre kein Platz mehr zum Atmen da. Alles wurde standardisiert und es war sehr schwer, innovative Musik innerhalb von Drum & Bass zu finden. Vielleicht lag es an mir, vielleicht an der Szene, ich weiß es nicht. Gewissermaßen hast du recht, es gibt wieder mehr Interesse an dem Tempo und dem Gefühl für das Tempo. Das bringt zweifelsohne auch wieder neue Innovationen mit sich. Klar, die Innovation war sicherlich immer da, aber nun herrscht eine andere Medienaufmerksamkeit, da neue Produzenten an die Oberfläche treten und Leute wie ich zurück zu dem Gefühl von Jungle und Drum & Bass gefunden haben. Dadurch fühlt sich Drum & Bass vielleicht wieder etwas bedeutender an, als noch vor einigen Jahren. Aber woran es liegt, kann ich nicht wirklich sagen. Ich denke, wir sollten dBridge den Respekt dafür zollen. Er war es, der über einen längeren Zeitraum für Innovationen im Drum & Bass gesorgt hat.

Ich frage mich, ob dieser neue Enthusiasmus möglicherweise auch über den Weg von Juke und Footwork kam?

Möglich. Das passt zu dem, was wir in 2010, 2011 gemacht haben. Da gab es eine gewisse Synthese. Vielleicht hat das ein Interesse an klassischem Jungle wieder wach gerüttelt. Aber unabhängig davon unterliegt doch alles einem 20 Jahreszyklus. Also vielleicht ist es einfach gerade die richtige Zeit. Bei Facebook posten gerade sehr viele wieder Jungle-Tunes und Leute wie ich, fühlen sich dadurch in diese Zeit zurück versetzt. Damals habe ich davon geträumt mit Metalheadz zusammenzuarbeiten, aber ich war noch viel zu jung dafür. Heute ist der Traum wahr geworden.

Du selbst hast unter dem Alias Philip D Kick Juke und Footwork Remixes von Jungle Klassikern angefertigt. Wie kam es dazu?

Ja, ich habe Footwork durch Gespräche mit Mike Paradinas für mich entdeckt. Ich habe ihn bei Plastic People auflegen sehen und er hat all dieses wahnsinnige 160 Bpm Zeug gespielt. Das war vom Gefühl her wie es Jungle damals für mich war, nur etwas minimaler. Das fand ich sehr spannend und kurzerhand habe ich Jungle-Klassiker mit diesen Footwork Tunes in meinen DJ-Sets verschmelzen lassen. Eines Tages realisierte ich, dass ich meinen eigenen Footwork-Edits machen sollte und nutzte dafür die alte Sound-Palette des Jungle. Es sollte aber ein Experiment bleiben und deshalb nutzte ich ein Alias dafür.

Wie wird deine Musik in England wahrgenommen? Welche Schlagwörter stehen damit in Verbindung? Nennen es die Leute Drum & Bass oder Dubstep? Bist du dir dessen gewahr?

Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich kann sagen, dass wir in England sehr einzigartig mit dem ganzen Bass-Music-Sound umgehen, unter dem sich viele verschiedene Stile subsumieren. Das ganze ist ja synonym zu unserer Kultur. Deshalb ist es schwer, mit solchen Begriffen zu hantieren. Die Kids hier machen ohnehin nicht viel Aufhebens um Genres. Sie wissen, was sie mögen und sind nicht wirklich interessiert daran, Beurteilungen zu machen, da es in unserer Kultur um Rave und Spaß haben geht. Wer z.B. beim Outlook Festival war, der weiß in welchen Zustand die englischen Kids dort geraten. Es geht für uns in erster Linie um Rave.
Was mich angeht… vielleicht mögen mich manche für den Drum & Bass und andere bevorzugen den Hip Hop, den ich zuvor als 2tall gemacht habe. Aber letzten Endes ist es mir egal, ob die Leute es mögen oder nicht. Es ist auch nicht wirklich mein Business. Denn wenn ich mich entscheide, eine Platte herauszubringen, setzt das natürlich eine Zufriedenheit meinerseits voraus. Und danach gehört sie auch nicht mehr mir, sondern allen Anderen. Vielleicht werde ich aktuell eher mit Drum & Bass assoziiert, aufgrund der Musik, die ich im letzten Jahr gemacht habe. Aber ich bin auch nicht darauf begrenzt.

Kennst du das Hardcore Continuum wie es Simon Reynolds beschrieben hat?

Ja.

Meinst du dieses Amalgam aus Drum & Bass, Jungle, 2Step, UK Garage, Grime, Dubstep, Hip Hop…, das du und auch die anderen Künstler auf Cosmic Bridge produzieren, ist eine Art neues Kapitel des Hardcore Continuums?

Ja, das Continuum… gute These. Obwohl es nicht mehr als ein Label ist. Ich bin etwas misstrauisch, wenn – vor allem Journalisten – Musik etikettieren.

Das ist unser Job.

(beide lachen) Ja, und das ist auch gut so. Ich habe den Luxus, nicht alles analysieren zu müssen, weil ich am kreativen Ende, an der Quelle sitze. Aber es ist auf jeden Fall eine relevante Beschreibung. Denn wenn du dir anschaust, was England kulturell seit den späten 80ern, frühen 90ern gemacht hat, siehst eine Abstammungslinie. Was ich gerade tue, ist zwangsläufig ein Teil dieser Linie, auch wenn es mehr ein Ausläufer dieses Continuums ist. Diese Fusion von Jungle und Footwork ist ein gutes Beispiel für eine Synthese. Es ist aber keine einzigartige, kulturelle und soziale Bewegung. Deshalb denke ich, das Continuum wird von etwas anderem weiter geschrieben. Footwork ist eine kulturelle und soziale Bewegung, Jungle war und ist eine soziale Bewegung. Aber die Fusion der beiden ist mehr eine Mode, ein Trend und sollte keine große Sache sein. (lacht) Auf Cosmic Bridge fokussieren wir uns auf 160 und 170 Bpm bzw. auf 80 und 85 Bpm und wir nehmen Einflüsse aus Dub, progressiver Syntheziser Musik, Hip Hop, Footwork und natürlich auch Jungle. Aber das nächste große Ding wird etwas anderes sein. Ich kann es aber noch nicht sehen. Vielleicht bin ich zu alt.

VACosmology erscheint am 21. Juli bei Cosmic Bridge.

Text: Christian Kinkel