Wenn der Mainact spielt, wird der Backstage zu einem einsamen und stillen, zu einem regelrecht unheimlichen Ort. Bei der Play! am letzten Samstag im Kölner Gloria Theater sind es Camo & Krooked, die den sonst so hochfrequentierten Raum in ein Stillleben verwandeln, das nur von den vor dem geistigen Auge vorbei wehenden Tumbleweeds durchbrochen wird. Aber was soll man hier auch, wenn sich parallel die österreichischen Drum & Bass-Propheten in der Halle des Gloria mit ihrem Set zwischen technoid schnalzendem Minimalismus, deftigen Rave-Brettern und Klassikern von „Timewarp“ bis „31 Seconds“ reichend in die Herzen der Crowd droppen? Also schnell wieder raus hier, das im Takt klatschende Meer aus Händen auf sich wirken lassen und den nächsten von MC Youthstar initiierten Moshpit auf dem Telefon festhalten. Eine beeindruckende Szenerie. Für Camo & Krooked dürften solche Szenen derweil schon fast Alltag sein. Sie sind gerade mitten in ihrer Tour zum vierten Album „Zeitgeist“ und erst vor wenigen Tagen von ihren Gigs in Neuseeland und Australien zurückgekehrt. Als wir die beiden Protagonisten des Abends nach ihrem Auftritt gleichermaßen zufrieden und erschöpft im nun wieder sehr belebten Backstage treffen, erklären sie sich für ein fünf minütiges Interview bereit, das wir etwas abseits auf einer kalten Treppe führen. Die beiden entpuppen sich ihrer Erschöpfung zum Trotz allerdings als sehr redselig und das Interview wird zu einem sehr angenehmen Gespräch über ihre Tour, ihre zukünftigen musikalischen Pläne und den Zustand der Drum & Bass-Szene.

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Genießt ihr eure Tour oder wird es schon anstrengend?

Camo: Die letzten zwei Wochen waren wir in Neuseeland und Australien und die haben wir sehr genossen. Quasi ein Urlaub vom europäischen Winter. Jetzt stehen in Deutschland noch Hamburg und Berlin an und das sagt uns sehr zu, weil es im Winter angenehmer ist, nicht so weit weg zu müssen. Wir genießen die Gigs in Deutschland.

Merkt ihr denn von der Bühne aus einen Unterschied zwischen den verschiedenen Crowds in den verschiedenen Ländern?

Krooked: Nicht nur zwischen den Länder, sondern sogar zwischen jeder einzelnen Stadt. Es ist etwas ganz anderes, ob du in Stuttgart oder in Mannheim spielst und das macht es immer wieder cool und der Job – wenn man das so nennen darf – wird nie langweilig. Man weiß nie was auf einen zukommt, weil wir selten öfter als einmal im Jahr in der selben Stadt spielen. Und in einem Jahr kann viel passieren. Da wechselt sich zum Teil die ganze Crowd aus.

Um auf euer Album zu sprechen zu kommen: Es hat mich tatsächlich ein bisschen überrascht. Es ist nicht so extrovertiert wie eure vorigen Werke. Ihr greift zum Teil eure eigene eher minimalistische Soundästhetik aus der Zeit von „Time Is Ticking Away“ auf. Andererseits schielt es in Richtung Pop und hat eine 70er Jahre Disco Attitüde, bei der man aktuell zwangsläufig an Daft Punk und Pharrall Williams denken muss. Warum der Titel „Zeitgeist“?

Camo: Wir haben es ganz gezielt so gennant, weil wir den Zeitgeist anderer Epochen aufgreifen und mit unserer Idee eines aktuellen Zeitgeists vermischen. Deshalb greifen wir viel 70er Jahre Musik auf, die wir mit unserem aktuellen Drum & Bass verschmelzen lassen. Für uns ist es sehr wichtig, etwas Neues zu kreieren und gerade nicht das zu machen, was andere bereits ausprobiert haben. Uns geht es darum, unser eigenes Ding zu machen und aus diesem Grund sind wir, wie du schon gesagt hast, etwas zurück ins Minimalistische gegangen, weil das eigentlich unser Ding war und uns speziell gemacht hat.

Krooked: Für uns sind die 70er das goldene Zeitalter der Musik. Damals waren die besten Musiker am Start, die besten Recording…

Welche Musiker würdest du da nennen?

Krooked: Fleetwood Mac, Pink Floyd, The Doobie Brothers, Michael Jackson… eigentlich die ganze Disco und Progressive Rock- und Rock-Schiene, die damals aufgekommen ist. Led Zeppelin, The Doors… Uns hat schon immer eher die Musik selber fasziniert, also der Inhalt und nicht die Produktion. Und in minimalistischer Musik lässt sich einfach viel mehr Seele einbauen, als mit fetten Drums und so weiter. Natürlich wollen wir keinen musikalischen U-Turn machen und unseren Fans den Rücken zukehren, aber es ist ein Wegzeiger auf unserem musikalischen Werdegang und in Zukunft werden wir diesen minimalistischen Stil verstärkt weiter verfolgen. Im Drum & Bass gibt es abseits der Dancefloor-Schiene noch so viel zu erforschen und da wird es für uns eigentlich erst richtig interessant. Der Name Zeitgeist, weil das Album auf einen Epos vergangener Zeit zurückgreift, den wir mit unserer Musik vermischen.

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Ist der Titel also auch ein Anspruch an euch selber?

Camo: Auf alle Fälle! Im Drum & Bass laufen alle immer nur dem nächsten großen Dancefloor-Shmasher oder Chart-Hit hinterher. Uns ging es aber schon immer darum, gute Musik zu machen, die uns auch selber befriedigt. Und noch schöner ist es, wenn du merkst, die Leute checken das auch.

Ihr habt ja sogar zwei Drum & Bass Arena-Awards bekommen. „Best Producer“ und „Best Album“.

Camo: Das kam für uns total überraschend und wir sind auch nicht mit der Erwartung dort hin geflogen, dass es einen Award für uns geben wird. Da waren wir wirklich geflasht, dass unsere Musik dort so gewürdigt wird. Gerade auch deshalb, weil Zeitgeist für uns kein UK-Drum & Bass ist, sondern vielleicht eher ein European-Drum & Bass. Drum & Bass ist heute mehr als UK, Amen-Break und das, was es schon immer war. Es gibt so viel, das noch nicht gemacht wurde und wirklich cool wird es erst dann, wenn man etwas neues schafft und seine eigenen Spuren hinterlässt.

Was hört ihr aktuell für Musik?

Krooked: Um das direkt vorwegzunehmen: wir hören eigentlich keinen Drum & Bass zu Hause. Denn zu der Zeit von „Between The Lines“ hörten wir viel Drum & Bass und sehen darin den Grund, dass dieses Album so anders war. Denn die Musik, die man hört, die beeinflusst einen auch beim Musik machen. Deswegen haben wir uns gesagt, wir hören keinen Drum & Bass mehr zu Hause. Für uns stagniert es ohnehin gerade sehr stark. Vor allem der Dancefloor-Bereich. Derzeit hören wir viel Pink Floyd, Minimal Techno à la Stefan Bodzin, das Darkside Projekt von Nicolas Jaar, das aktuelle Moderat Album, Fleetwood Mac, Chris Isaac, die 80er…

Camo: Drum & Bass kann mehr sein als nur Club-Musik, wenn man die richtigen Einflüsse mit rein nimmt.

Ja, man kann ein Album auch so gestalten, dass es im Wohnzimmer hörbar ist.

Krooked: Das ist die Zukunft für uns.

Camo: Das Schöne im Drum & Bass ist, dass du alles machen kannst, solange du die BPM einhältst. Wenn es auf 175 BPM ist, dann ist es einfach Drum & Bass. Das ist im 130er BPM-Bereich etwas ganz anderes. Da reicht es nur eine Kleinigkeit zu verändern und schon ist es ein anderes Genre. Und bei 175 BPM ist noch viel nicht gemacht worden, womit man den Drum & Bass Fans auch zeigen kann, es gibt noch andere Musikrichtungen, in die man sich rein hören kann.

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Was ist noch nicht gemacht worden? Was kommt als nächstes von euch?

Krooked: Momentan fließen viele Ideen durch unsere Köpfe. Wir haben diese Woche zum ersten mal wieder Zeit gehabt, dass wir uns ins Studio setzen und wirklich Musik machen konnten. In Zukunft möchten wir mit live Instrumentation arbeiten und neue Rhythmusstrukturen ausprobieren. Es muss nicht immer alles in 16 Bars sein, sondern es gibt auch Sachen, die in 12 Bars cool sind.

Stichwort rhythmische Dissonanzen.

Krooked: Genau. Wir haben z.B. etwas angefangen, das mit einem Triplet beginnt und von diesem aus auf andere BPM springt. Dabei wird die tatsächliche BPM aber gar nicht geändert, sondern nur der Takt.

Ihr habt von live Instrumentation gesprochen. Sind denn auf Zeitgeist bereits akustische Instrumente zu hören?

Krooked: Das ist alles mit Librarys gemacht. Die sind inzwischen sehr gut, haben aber natürlich auch ihre Grenzen. Wir können auch nur begrenzt Gitarre und Klavier spielen. Deshalb ist für die Zukunft unsere Idee, dass wir alles vorbauen und dann von einem Sessionmusiker nachspielen lassen. Du musst Sachen teilweise aus der Hand geben, um sie perfektionieren zu können.

Kennt ihr Francis Harris? Das ist ein amerikanischer Deep-House Produzent und der arbeitet schon länger wie von euch beschrieben mit Musikern…

Camo: (unterbricht) Du bist von drumandbass.de. Wie viel Drum & Bass hörst du und wie viele andere Sachen?

So ca. 30% Drum & Bass.

Camo: Das ist genau der Punkt. Wir sind jetzt auch schon seit fünf Jahren im Game…

Krooked: (empört) Seit sieben Jahren!

Camo: …ja, seit sieben Jahren, meinetwegen… und die Leute, die uns damals gehört haben, sind weitergezogen, beschäftigen sich nun mit anderen Genres. Und das ist bei uns gewissermaßen auch der Fall. Wir machen gerne Drum & Bass, das ist unser Ding, da kennen wir uns aus, unser Unique Selling Point sozusagen. Und anstatt jetzt einfach in ein neues Genre einzusteigen, das ohnehin schon mit Produzenten übersättigt ist, machen wir wie immer Drum & Bass, lassen uns aber von der Musik inspirieren, die wir zu Hause wirklich hören. Auf diesem Wege ist es möglich etwas wirklich Neues zu kreieren.

Krooked: Das Problem ist, dass Drum & Bass Artists, Drum & Bass Artists sind und nichts anderes. Sobald ein Drum & Bass Artist etwas auf einer anderen BPM macht, dann wird es schon kritisch und die Fanbase fängt an zu schreien. Man meint, dieser einen Rhythmusstruktur, diesem einen Arrangement folgen zu müssen. Aber die Musiker, die wir gerne hören, denen ist es egal, auf welcher BPM sie arbeiten, mit welchem Rhythmus sie arbeiten. Trotzdem bewahren sie sich ihren Trademark-Sound. Das passiert im Drum & Bass viel zu wenig. Ich glaube auch, dass das ein Grund dafür ist, warum vorwiegend jüngere Leute Drum & Bass hören.

Camo: Was aber auch cool ist. Denn gerade die jungen Leute, das muss man positiv sagen, gehen regelrecht an die Decke. Drum & Bass ist eine sehr coole Club- und Dance-Music, weil die Leute so abgehen und das ist sehr wertvoll.

Krooked: Der Moshpit ist wertvoll!

Der hat mich sehr überrascht. Das habe ich zuvor gar nicht mit euch in Verbindung gebracht.

Krooked: Das ist aber typisch für die junge Crowd.

Camo: Eigentlich haben wir immer einen Moshpit, wenn wir spielen. Aber ein DJ-Set sollte nicht an der Anzahl der Moshpits oder der Hände, die oben sind, gemessen werden, sondern auch an den Emotionen.

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Ich bin immer geneigt, euch in einer Reihe mit Chase & Status und Sub Focus zu nennen.

Camo: Das ist sehr ehrenwert für uns.

Der Unterschied ist allerdings, dass ihr keinen Major-Deal habt.

Camo: Na ja, wir sind jetzt bei Hospital aus dem Deal raus und werden schauen was passiert. Der tatsächliche Unterschied ist aber eher der, dass Chase & Status und Sub Focus wirklich einem kommerziellen Approach folgen und wir das nicht tun. Die machen zwar auch das, was sie wollen, aber auf einem nicht so subtilen Level wie wir. Wir versuchen unseren Erfolg und unsere Fanbase auf ehrlicher Appreciation aufzubauen. Und wenn das am Ende nicht funktioniert, dann haben wir wenigstens das gemacht, was wir wollen.

Also es ist ein Major-Signing auch kein Ziel von euch, das es zu erreichen gilt?

Krooked: Nein! Wir versuchen uns immer wieder neu zu erfinden und das zu machen, was noch nicht gemacht worden ist. Dabei geht es uns mehr um unser eigenes Wohlbefinden, als das unserer Fans. Natürlich muss man das Showbiz im Hinterkopf behalten und sich klar machen, dass die Fans einen tragen. Aber deshalb ist „Zeitgeist“ auch auf der einen Seite minimalistisch und bedient auf der anderen den Dancefloor-Bereich. Es fühlt sich gerade sehr gut an, ohne Label zu sein. Zwar hat uns Hospital zu jeder Zeit die volle kreative Freiheit gelassen, doch wenn man bei einem Label gesignt ist, das eine bestimmte Stilrichtung repräsentiert, dann schlägt das im Kopf ein bisschen um und man meint, nun auch genau diesen Sound abliefern zu müssen. Aber bei dem Following, das wir haben, brauchen wir jetzt nicht auf Nummer sicher zu gehen. Da können wir ruhig unsere Balls etwas raushängen lassen und machen was wir wollen. Irgendwas wird schon passieren, egal auf welchem Label.

Camo: In Zukunft möchten wir auch Menschen erreichen, die sich etwas differenzierter mit Musik auseinander setzen, als es die – ohne jetzt alle über einen Kamm scheren zu wollen – junge Drum & Bass-Crowd in weiten teilen tut. Das ist uns mit „Zeitgeist“ schon ganz gut gelungen. Und in Zukunft möchten wir verstärkt die Fanbase im deutschsprachigen Raum anvisieren, weil die englische Crowd einfach zu übersättigt mit ihren eigenen Artists ist, die dem immer gleichen Formular folgen. Unsere Musik ist da viel eher deutsch und französisch geprägt, oder?

Krooked: Auf jeden Fall. Minimal Techno, die ganze French House-Szene… Was den Sound betrifft möchten wir eher in die Richtung von Stefan Bodzin gehen, als in die von Disclosure beispielsweise, weil bei Bodzin viel mehr Liebe und Subtilität drin steckt.

Von der Kälte der Treppe genervt und von einer drückenden Blase bedrängt, möchte Camo das Interview an dieser Stelle verständlicher Weise beenden und mit der letzten, schnell zu beantwortenden Frage, entlasse ich die beiden in ihren wohl verdienten Feierabend.

Hat euch die Party gefallen?

Krooked: Absolut!

Camo: Wir waren im Vorfeld etwas unsicher, weil wir dachten, das Gloria ist echt riesig. Es war auch groß, aber es war knacke voll. Selbst ganz hinten sind die Leute gut abgegangen. Also es war wirklich extrem gut und wir sind mehr als zufrieden. Nun freuen wir uns auf Hamburg und Berlin. Die Gigs in Deutschland sind immer sehr gut, muss ich sagen. Man fühlt auch die Zugehörigkeit im deutschsprachigen Raum. In der Schweiz ist das auch so.

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Text: Christian Kinkel
Fotos: Marius Kreuder

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