Zehn Jahre nachdem das Dreigestirn Lightwood, Simon V und Double J das Drum-n-Bass Label „Santorin“ gründete, zählt dieses zu den ältesten und zu den wenigen seit langem aktiven deutschen Labels. Der Überlebenskampf in einem Markt, der ständig neue Parameter setzt und nebenbei langsam schrumpft, ist freilich auch bei der Traditionsmarke „Santorin“ zu spüren. Trotzdem gilt: In südlichen Gefilden der Republik halten Luft und Lebensweisheit jung, und so blickt „Santorin“ Grandaddy Oliver Lichtwald aka Lightwood positiv in die Zukunft. Headliner-Autor Franksen traf den sympathischen Macher!
An seinem Mundwinkel bildet sich fast ein Gähnen aus, als ich Lightwood danach befrage, wer, wie oder was denn eigentlich den Labelnamen inspirierte. Die Geschichte hat er öfters erzählt, ich kenne sie aber nicht. Die griechische Kykladen-Insel war das Erste, was ihm beim Brainstorming anno 98/99 in den Kopf kam. Die Vulkan-Insel ist „gewaltig, vielseitig, samt der Atlantis-Geschichte sagenumwoben“ und frei nach dem bei dieser Aussage schmunzelnden Lightwood passt all das „irgendwie zu Drum&Bass und dem Labelstandort Tübingen“. Das sonnenverwöhnte Kreisstädtchen südlich von Stuttgart ist auch „eine Insel“, für die „Santorin“-Macher „eine Oase“. Hier ist die Welt beschaulich, und „alle basteln unbeeinflusst an ihren Zauberformeln“. So reiht sich „Santorin“ herrlich in die Standort-Koordinaten der Stadt ein.
Die „eine Zauberformel“ für Drum-n-Bass will man in Tübingen dabei nicht unbedingt finden. Drum-n-Bass reduziert sich bei „Santorin“ nicht auf eins-zwei Styles sondern umfasst das ganz große, für alle Einflüsse offene Bild der Drum-n-Bass-Kultur und Breakbeat-Forschung. Wer Tübingen nicht kennt, mag behaupten, nichts verpasst zu haben. Für Lightwood und Co. ist das gemütliche Pflaster der jungen und offenen Stadt genau richtig. Das Leben der Stadt von unter 100.000 Einwohnern bestimmen die Studenten. Das Stadtbild bevölkern 23.222 Studierende, und heute hat Tübingen den niedrigsten Altersdurchschnitt aller Städte in Deutschland.
Die „Santorin“-Events („Pressure Sessions“) in der Heimat erhöhen erfolgreich seit Jahren den Druck auf dem heimischen Tanzboden. In Tübingen funktioniert, was anderswo seit Jahren bejammert wird. Lightwood und das Team schöpfen hier ihre Kraft: „Wir schaffen es ja auch tatsächlich fast tagtäglich mit dem Label und monatlich mit den Pressure-Events neue Leute zu binden. Es ist alles eine Frage, wie man andere begeistert, mit seiner eigenen Leidenschaft mitreisst. Wir sind die Botschafter der Leidenschaft“.
Die Compilation-Reihe „Ambassadors“ geht in diesem Frühsommer unter dem mustergültigen Titel „From Amen To Z“ in die vierte Runde. Über die aktuelle Compilation sagt Lightwood: „Wir haben es endlich geschafft, das komplette Spektrum einzufangen, für das Santorin steht und somit das Santorin Bild endlich vervollständigt. Man kann nicht mit 3-4 V√ñs das vielfältige Spektrum von D&B wiedergeben, vielleicht aber mit 30 plus einer dicken Compilation.“ Das „Spektrum“ auf der neuen Kopplung umfasst so viele Styles, dass ich lange überlegen muss, wann es eine solche D&B-Compilation zuletzt gab. Von kantigem Breaks-Sounds zu dubsteppigen Experimenten, Liquid-Vocaltunes, rassigen Rollern oder deep bis minimalen Entwürfen reicht Drum-n-Bass bei der Jubiläums-Botschaft des Labels.
Lightwoods Maxime für interessanten Sound steht auf vielen Füssen und geht nicht unter. Ich erinnere: „gewaltig, vielseitig, sagenumwoben“, so sieht und sah Lightwood Drum-n-Bass und Santorin. Vielseitigkeit ist freilich Internationalität. Und ob ein guter Tune aus dem ‚Äöfamiliären‚Äô Umfeld, dem schönen Wien, dem sunshine state California oder vom russischen Ende der Welt stammt, ist dabei gleich. An die 100 neue Demo-Tracks senden die weltweiten Producer und Fans pro Woche ein. In der Aufarbeitung zählen badischer Eifer und Passion. Lightwood hört alles durch. „Erregt etwas meine Aufmerksamkeit, also hält mich vom Arbeiten ab, dann steckt Potential drin. Feedback gebe ich aber nur noch bei Tracks/Künstlern, wo ich eben irgendeinen Anhaltspunkt finde, daß es mir gefällt.“
Santorin entdeckt regelmässig neue Künstler und baut sie auf. Young Ax wäre hier wohl der bekannteste Name, der unter diesem Prinzip wächst. Der Drummer ist ein klassischer Album-Artist, mit ganz eigenem Style. „Mit Young Ax starten wir dieses Jahr noch ein neues Label: Sugaphonic Records – sweeeetest music! Alex hat so viel Potential und macht einfach einen so eigenen Sound mittlerweile, daß er dringend seine eigene Plattform braucht.“ Heiße neue Namen gibt‚Äôs zu Hauf zu entdecken. Tyler Straub, Parhelia oder auch Dan HabarNam sind nur ein paar davon. Tyler Straub selber entdecken derzeit, nach dem ‚Äöcoming out‚Äô auf „Santorin“, auch verstärkt die UK-players auf BBC Radio One.
Übersichtliche 27 Maxis verbucht „Santorin“ in zehn Jahren Labelhistorie. Katalognummer 26 war ein großer Hit. Der außergewöhnliche „Flute Tune“ zeichnete seine Macher J-Cut und Kolt Siewerts als humorvolle und ins globale Herz der Feiernden zielende Producer aus, ihr Werk selber würdigten die User des „Future Forums“. „Best Track National“ titelt der virtuelle Award. Daneben hat sich die Maxi mit dem betörend-beschwörenden Flöten-Lick für heutige Zeiten sehr gut verkauft. Überall auf der Welt.
Dass letztlich der Weg bis zu solchen Erfolgen mal zehn Jahren dauert, macht Lightwood nicht nervös. „Man muss sich ja steigern, oder?“ Die Steigerung ist drin, immer. Kann Leitwolf Lightwood eigentlich von „Santorin“ leben? „Eines Tages ja, haha.“ Im Klartext heißt das, Oli bekleidet eine 50%-Stelle an der Uni als Mediengestalter für Bild und Ton. Und wer sich für amtliche Drum-n-Bass-Science aus Deutschland interessiert , muß nicht lange suchen. „Santorin“ ist bereit. Auch, wenn ein „Südafrikaner im Onlineshop mal kurz alle Santorin- Platten bestellt.“ Prima, der Mann bestellt sich garantiert demnächst die Laufnummer 27 aus Tübingen. Deutschlands Drum-n-Bass Urgestein Bassface Sascha und Concept & Shnek gehört die Vorab 12″ der „Ambassadors 4“. Und was Saschas Titel verspricht, hält „Santorin“ gerne bereit: „Livin Music“!
Words: Frank Eckert
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 08 (Mai 2009) des Headliner Magazins veröffentlicht und erscheint mit freundlicher Genehmigung.
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