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Es ist kalt. Der Club noch leer. Nur vereinzelt tanzen zur Freude des DJs einige zu schnell zu druff gewordene Drum & Bass-Heads auf der Tanzfläche auf und ab, da sie es zuhause nicht länger ausgehalten haben. Die anderen Gäste sitzen sanft kopfnickend, teils alleine an der Bar und genießen wartend aber nicht unruhig eines ihrer ersten alkoholischen Getränke. Auf der Tanzfläche versetzen Nebel und Blitzlicht die Tanzenden in eine Abhängigkeit zur Musik, die abscheulich druckvoll und von den einsamen Wänden des Clubs wiederhallend einzige vernehmbare Schallquelle zu sein scheint. Keiner vermag zu sprechen. Jeder konzentriert sich nur auf sich selbst, wartet auf befreundete Gäste und genießt die Musik, die doch einen ganz anderen Ton als zur quitschig und fancy-farbenden Rave-Primetime anschlägt. Kein Jubeln. Kein Kreischen. Pure Deepness. Von der Bar aus wird beobachtet, ab und an geschmunzelt. Der DJ spielt „Digital Native“ von Oliver Yorke.

Klar, vieles ändert sich. Die Szene wird offener, Deepness ist wieder tanzbar und sowieso ist es entscheidend, wo man sich in Deutschland gerade befindet, ob in Berlin, Köln, Bremen oder Mannheim. Und doch scheint mir der Sound, den Oliver Yorke seit letztem Jahr in den Drum & Bass-Aether schickt, hierzulande eher den frühabendlichen bzw. frühmorgendlichen Stunden im Club anzugehören oder nur den zweiten Floor zu bewohnen. Viel zu introvertiert und farblos sind diese Bassgeladenen Stücke, als dass sie von einer breiten Masse angenommen werden möchten. Auf diesen Sound muss man sich einlassen, man muss ihn wollen, damit er einen nicht nur im Podcast auf der Couch packt.
„Digital Native“ und „Lose Yourself“ sind klirrend kalt, aber in ihrer erbarmungslosen Brutalität herzergreifend einfühlsam, da sie die Rolle einer soundgewordenen Dystopie einnehmen, die uns doch beim wochenendlich gelebten Hedonismus affirmativ von allen Sorgen des Alltags befreit. Prächtige Basswogen, mechanische Drums, stolpernder Groove und technoide Langlebigkeit kleistert Yorke an seine Referenzwand, auf der Acid-House, 90er East-Coast-Hip Hop und ganz verschwommen auch Jazz stehen. Das bisher mit Abstand bösartigste Release des Londoners, der schon auf Sound Trax und Alignment veröffentlichte, kommt nun am 30. September auf dem noch jungen Retrospective Recordings aus Italien heraus und ich bin ganz klar dafür, eine Primetime-Kampagne für diese Tunes zu starten.