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Der deutsche Drum & Bass Pionier und Urgestein Heiner Kruse, besser bekannt als The Green Man, hat vor kurzem sein zweites Album „Sound Power“ auf seinem eigenen Label Basswerk Records veröffentlicht. Beat-Redakteur Tobias Fischer traf ihn zum Interview um über sein neues Werk zu sprechen und hat uns den Artikel freundlicherweise exklusiv für drumandbass.de zur Verfügung gestellt.

Die Reggae- und Dub-angehauchten Tracks verleihen dem neuen Album eine ganz besondere Note. Was bedeuten dir diese Einflüsse persönlich und was ist für dich ganz generell die Bedeutung von Roots?

Ich mag die „Vibes“, die bei dieser Musik rüber kommen. Ich liebe diese relaxte Stimmung, die Sounds und die Beats. Das hat mich genauso wie elektronische Musik der 80er beeinflusst, und deshalb kommt so eine Kombination heraus. Wobei ich insgesamt gerne „kombiniere“ und Elemente anderer Gattungen einbaue: Streicher aus der Klassik oder Jazz-, Rock- oder Minimal Techno-Elemente. Neulich habe ich in einem Interview gelesen, dass die Metalheadz Leute mit den Blue-Note-Sessions angefangen haben, weil Ihnen die Vocal- und Reggaejungle-Tracks aus dem Hals hingen, die es an jeder Ecke zu hören gab. Aber ich habe das komplett anders erlebt. Ich mochte beides, und in Köln habe ich weder um die Ecke noch im Radio einen Überfluss an Reggaejungle erlebt. Im Gegenteil, Sachen wie „M-Beat – Incredible“, „Original Nuttah (Bhangra Mix)“ oder „Ravin I’m Ravin“ haben mich total fasziniert. Noch heute gibt es oft eine Kluft zwischen sehr oldschooligem Raggajungle und den modernen Produktionen. Daher reizt es mich, solche Vocals mal mit modernerem, oder anderen Sound zu kombinieren. Ein erster Versuch in die Richtung war es 1999 Michael Rose in „Illegal“ mit dem Vocoder zu verfremden, für die Phoneheads habe ich anschliessend sowas in ihrem „Faith Healer“ Remix gemacht, ein weiterer war „Do it Irie“ mit MC Lowqui, das auf Santorin rauskam. 

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Das war zu einer Zeit, als du gerade mit den Basswerk-Parties angefangen hattest. Wie haben sie sich im Lauf der inzwischen fast 20 Jahre entwickelt und verändert?

Früher waren diese Partys einzigartig. Die Leute kamen immer, auch wenn unsere Stammlocation, das Gebäude 9, nicht so zentral liegt, und unser Publikum bestand zu einem Großteil aus Musikliebhabern. Heute gibt es überspitzt gesagt Drum & Bass Parties an fast jeder Ecke oder auf irgendeinem Floor und Mainstream und Underground vermischen sich. Zum einen gibt es also mehr Leute, die zu Drum & Bass tanzen, andererseits gab es in meiner Wahrnehmung früher eine klarer definierte Underground-Szene mit mehr Zusammenhalt. Ich sehe es ein bisschen so, dass wir jetzt auch den Staffelstab weitergeben und nicht mehr für die Grundversorgung verantwortlich sind. Andererseits wollen wir immer noch wegweisende Dinge machen. Die Konsequenz für uns ist, dass wir deutlich weniger und dafür aufwändiger produzierte Parties machen. Der Nachteil ist, dass es für unbekannte Talente schwerer wird, die wir früher öfter gebucht haben. Andererseits sind die Parties, die wir jetzt machen, von der gesamten Performance her auch reifer und so gut besucht wie nie zuvor.

Das erste TGM-Album wurde 2001 veröffentlicht. Was war das für eine Zeit und wie blickst du heute auf sie zurück?

Das glaube ich war eine Zeit des Übergangs, es gab den coolen, elektronischen „98er“ Sound mit Leuten wie Matrix, Bad Company oder Intalex, Leute wie Kemal, Trace und Skynet waren aktuell, andererseits lugte eine neue, heftigere Welle mit ravigem D&B und Neurofunk bereits um die Ecke.

Es scheint bei manchen die Meinung zu herrschen, dass der praktisch universelle Einsatz von E-Mu Samplern in dieser Anfangsphase dazu geführt hat, dass viele Produktionen sehr ähnlich klangen.

Die Tools beeinflussen immer Deinen Workflow. Wenn ich in Pro Tools arbeite ist es zum Beispiel anders als in Logic oder Ableton, ich rendere öfter Effekte direkt in die Sounds rein. Aber ein Sampler hat weniger einen „allgemeinen Sound“ als ein Synth, von daher kann die Ähnlichkeit kaum am E-MU gelegen haben. Die Leute haben sich gegenseitig beeinflusst, und wenn man manchmal Tracks von vor 30 Jahren hört wundert man sich auch, wie ähnlich die teilweise klingen. Wenn man immer den selben Synth nutzt, kann man daraus aber auch einen Stil machen, wie die Pop-Gruppe OMD mal in einem interessanten Interview sehr treffend gesagt hat. Beim EMU Sampler war es allenfalls so, dass es der erste Sampler war, der sehr gute und sicher prägnant klingende resonanzfähige Filter hatte, durch die man alles jagen konnte. Der Sound der Filter und EQs beeinflusst die Produktionen, aber natürlich ist das eine sehr technische Sicht. Man kann ja als Artist die unterschiedlichsten Sachen damit machen.

Wo hast du damals selbst deine Schwerpunkte gesetzt?

Ich habe mit Drum & Bass zu einer Zeit angefangen, als ich vom DJ’ing aller möglichen Musik gelebt habe. Bei D&B Parties aufzulegen war für mich quasi eine Erholung davon, ich konnte endlich spielen, was mir gefällt, auch neue und unbekannte Sachen. Diesen Spirit will ich beibehalten, ich möchte nicht, dass es für mich zum „Job“ wird. Ich habe nicht mit Gewalt versucht, Clubs mit einem Tool nach dem anderen zu rocken, sondern will immer, dass es musikalisch bleibt und Überraschungen vorkommen. Die Flut von Neuveröffentlichungen ist so gross und es gibt mehr gute Tunes als ich spielen kann, so dass ich nicht mit Gewalt alles haben muss.

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Wie erklärst du dir nach dem zunächst steilen Aufstieg von Drum & Bass das rasche Abflauen des Hypes?

Abgeflauter Hype? In den Clubs hat man davon kaum etwas gemerkt. Ein Hype hat mehr mit den Medien zu tun. Da ist eine Szene, die macht die ganze Zeit Musik, am Anfang war das neu, aber es ist jetzt immer noch so, auch wenn nicht mehr so viel berichtet wird und das Ganze in verschiedene Bahnen von Subgenres läuft, was für mich das Hauptproblem ist. Drum & Bass als Gesamtbewegung war besser, als ein Artist auf einem Album auch unterschiedliche musikalische Styles gemacht hat, vielleicht auch deshalb ist es bei mir ein Doppelalbum geworden, damit verschiedene Styles reinpassen, ohne dass die Wechsel zu abrupt sind. Heute machen viele Artists eher einen Style, vielleicht noch in verschiedenen Tempi, der dann Leute ausserhalb der Nische kaum interessiert. Wenn aber alle sich nur noch für ihre Nische interessieren, bewegt sich nicht mehr viel. Früher hat es uns alle zusammen weggeblasen, wenn neue Sachen von Optical, Bad Company, Photek oder Reprazent kamen. Die Medien brauchen andererseits Aufhänger, Alben, Gesichter. Es liegt aber auch in der Natur von D&B, dass sehr viel grossartige Musik vor allem instrumental ist und man ein bisschen tiefer graben muss, um sie zu finden. Andererseits ist „Bass music“ ein neuer Aufhänger, den zum Beispiel die Amerikaner entdecken und zum „Hype“ machen. Und Dubstep hören wir nun nonstop bei Heidi Klum.

Wie würdest du aktuell die Drum & Bass Szene in Deutschland beschreiben?

Die Partys sind wie gesagt gut besucht und erleben einen Aufschwung mit neuem, jungen Publikum – sofern sie gut gemacht sind und auch Timing und Location stimmen. Die deutsche Künstlerszene ist für mich subjektiv heute aber leider stärker zersplittert, das hat wie gesagt auch damit zu tun, dass Raver, Neurofunker, Jungle und Liquid Leute immer mehr Ihren eigenen kleinen Kosmos haben. Ich glaube aber, dass es auch mit den kleinen Szenen nicht mehr so gut funktioniert und eine Party und auch eine Szene mit verschiedenen Styles, die dennoch zusammenhält, wie es bei Drum & Bass lange Zeit war, interessanter ist.

Was für Auswirkungen hat das Aufkommen von Dubstep aus deiner Sicht auf Drum n Bass gehabt?

Dubstep war für mich erst mal etwas darkes, wenn es gut war klang es wie Burial. Plötzlich wurde daraus ein Mainstream-Dancefloor-Hype. Auf Parties hat das dazu geführt, dass es plötzlich viel voller war als vorher, besonders wenn es einen zweiten Dubstep-Floor gab. Das war doppelt gut, denn es kam neues Publikum rein, das D&B Parties noch nicht kannte, und die dann oft den Drum & Bass Floor viel besser fanden und anschliessend auch auf Parties ohne Dubstep-Floor wiederkamen. Ich glaube kaum ein Sound kann auf Parties so abgehen und gleichzeitig so musikalisch sein wie Drum & Bass. Andererseits gab es plötzlich auf Beatport-Dubstep und Drum & Bass Top Tens, die ziemlich ähnlich und ziemlich trashig/kirmesmässig rüberkamen. Da kam durchaus eine Gefahr auf, dass alles von einer Kommerzwelle überrollt wird. Aber beim D&B ist das glaube ich nicht passiert, beim Dubstep vielleicht eher. Zum Glück steckt bei Drum & Bass eine lange und breit gewachsene Basis aus Artists und Fans dahinter, so dass solche Trends das große Ganze bei D&B nicht so schnell umwerfen.

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Warum legst du so großen Wert darauf, eigene Sounds zu basteln?

Synthesizer-Sounds sprechen eine eigene Sprache, sie haben nicht nur sehr unterschiedliche Obertöne. Ein Bass zum Beispiel hat einen Charakter, wie alle anderen Sounds auch. Am wichtigsten finde ich es, genau hinzuhören. Ich hatte mal einen blinden Jazzpianisten im Studio, der hat es total genossen, dass ich ihm die Presets eines JV 1080 umgeschaltet habe und ihn dann immer ein paar Minuten hab spielen lassen. Je nachdem, was gerade geladen war, hat er völlig andere Musik drauflosgespielt, von Beerdigungsmärschen bis zu heiterem Jazz. Daran waren die Sounds schuld, er hat sie charakterlich interpretiert, man kann sie nicht einfach so austauschen. Viele klassische Musiker begreifen die Bedeutung neuer Sounds nicht, was nicht zuverstehen ist, schliesslich ist ihnen ja auch bewusst, wie unterschiedlich Orchesterinstrumente eingesetzt werden und wirken Ich will den Charakter eines Sounds richtig nutzen und wenn nötig herausarbeiten, indem ich zum Beispiel auch an Presets schleife und Komponenten entferne oder modifiziere. Aber es ist mir ehrlich gesagt relativ egal, ob es ein Preset ist oder nicht. Viele Library Presets finde ich allerdings total nichtssagends Geräusche oder Klänge, ich finde da oft nur wenig. Presetdesigner werden sicher oft nach Quantität bezahlt. Oft sample ich Synths, weil es mir ziemlich liegt, Sounds im Sampler um zu designen.

Vor allem die Bässe klingen auf „Sound Power“ extrem vielseitig und tief.

Ein Basssound hat Charakter, er ist wie eine Persönlichkeit. Er kann cool, stylish, aggressiv, trashig, billig und sonst was sein. Hauptsächlich verwende ich Kontakt für die Bässe, allerdings gefüttert mit Samples von guten Synths. Woher die allerdings nun alle gekommen sind, das kann ich selbst kaum auseinanderhalten. Ich mache gern so eine „Basswand“ wie in „Stay True“, „Junglist Soldier“ oder Poona. Andererseits mag ich es auch, wenn es ganz tief runter geht und Bässe so klar unter den Beats liegen wie bei „Love, Change or Leave it“. Aber auch mehr „spielbare Bässe“ haben ihren Reiz – eher clean wie in „Keep on Movin“ oder dreckig wie in „Passage to India“. Das Bild von den NS 10’s als Titel zu „Sound Power“ ist ja auch ein bisschen ironisch gemeint, denn die Dinger haben ja wenig Bass, aber trotzdem irgendwie immer einen angenehmen, unanstrengenden Sound, den ich sehr mag und der verdammt viel rüberbringen kann – vorausgesetzt die Tracks stimmen.

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Wie hat sich dein Studio in Sachen Hard- und Software entwickelt?

Als Hardcore EMU-User war für mich die Umstellung hart und langwierig, aber nun ist sie vollzogen. Wenn man Drums programmiert, macht es wenig Sinn zu versuchen, externe Midi-Geräte und interne Klangerzeuger aufeinander abzustimmen, was ich so um 2002 herum teilweise versucht habe, als ich mehr Software einbinden wollte und was echt nervig war. Es ist nicht zu lösen und einigen Tunes aus der Zeit höre ich das an. Man macht es besser komplett intern oder extern, weshalb ich Synths oft in Kontakt sample. Dass ich nun in mehreren Programmen fit genug bin, gibt mir mehr Freiheit.

Gibt es auf der Hardware-Ebene für dich derzeit unverzichtbare Geräte?

Eigentlich sind mir die Geräte nicht so wichtig, stattdessen, dass ich nicht durch das Equipment gebremst werde, wenn ich gerade inspiriert bin und Zeit habe. Andererseits bin ich verwöhnt von den ganzen Tools und wenn man einmal etwas mit einem Tool gut hingekriegt hat möchte ich es danach nicht mehr auf doppelt so langen Wegen machen. Dann darf man nicht zu faul sein und sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Damit meine ich, dass man ein Soundziel hat und kein „Workflow“ Ziel. Als Dozent oder Autor erkläre ich manchmal Workflows, aber wenn ich musiziere muss ich das ausschalten, es muss dann auch mal völlig egal sein, wie man ans Ziel kommt. Hauptsache, man verliert es vor lauter Nebensächlichkeiten, Bugs oder Shortcuts nicht aus den Augen.

Trotzdem kann Hard- oder Software schon mal Impulse liefern, oder?

Sie kann dazu inspirieren, die Dinge mal anders zu machen. Musikproduktion ist wie kochen, und man muss sich andererseits schon mit der Wirkung bestimmter Zutaten auskennen, sonst ist das zu langwierig. Ich mache sehr oft alles komplett von nichts ausgehend und ohne irgendwelche Templates, ausser vielleicht favorisierte Basssounds. Unverzichtbar ist für mich eigentlich nur Kontakt als Sampler mit Soundshaping Tools, die ich beherrsche. Was ich an Hardware habe, kommt da meistens rein – und ich benutze und kaufe immer noch regelmässig Hardware. Ausserdem brauche ich einen ein vollausgestatteten EQ, mehrfach vollparametrisch, mit LP und HP mit wählbarer Steilheit, der auch steilflanking und sehr schmalbandig arbeiten kann. So etwas fehlt mir zum Beispiel in Reason, deshalb kann ich da nur mühevoll final drin mixen. Und der Mix fängt bei mir bei der Produktion an. Einzigartig ist für mich bei der Hardware immer noch der Yamaha FS1R Synth. Momentan benutze ich auch gerne DSI Tetra, Mopho X4, Nord Drum und einen alten Minimoog sowie softwareseitig Diva, Zebra, Massive, FM8, Operator und Granulator.

Ist DnB deiner Meinung nach noch immer im Stande, kreative Sprünge nach vorne zu machen?

Wenn – dann Drum & Bass, oder besser „Bass music“ als Oberbegriff. Ich meine okay, es gibt sicher auch experimentellere Musik als D&B, wo sich beispielsweise verfremdete Geräusche mit viel weniger Struktur ambientmässig ohne Drums entfalten. Aber irgendwelche Drum & Bass Kids werden auch solche Sachen bestimmt aufgreifen und verwursten. Bei Drum & Bass ging es schon immer darum, die Technik auszureizen. Das fing damit an, dass die Ragga-Leute im Akai-Sampler die Beats hochgepitcht haben und ging weiter mit den Neurofunkern, die das Mischpult und die EQ und Filter Settings bis zum Exzess tweaken. Software-Mixer sind so komplex und gross wie ihre Hardware Pendants einfach nicht mehr sein konnten, ausser vielleicht bei Quincy Jones. Heute sind die Dubstep-Kids oder Jungs wie Noisia die neuen Rockstars, die die Software-Synths ausreizen und für ein Revival bei den Hardware-Kisten sorgen. Bei Bass music stehen der Produzent und seine Kreativität ja viel mehr im Vordergrund. Also müssen die D&B-Producer sich auch was einfallen lassen – und das tun sie immer wieder gerne! Aber es ist jetzt sicher nicht mehr so leicht wie früher, einen „Quantensprung“ hinzulegen.

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Interview: Tobias Fischer