mc stunnah

MC Stunnah ist zweifelsohne eine der wichtigsten Figuren der deutschen Drum & Bass Szene. Seit knapp einer Dekade darf er als deutscher Support auf keiner überregionalen Veranstaltung fehlen. Mit Doubletime Bars rappte er sich in die Herzen der Raver oder wie er selbst lieber sagt: „Supporter“. Durch Auftritte in England, Spanien und Amsterdam ist er zu einer der Galionsfiguren der Globalisierung von Drum & Bass geworden, obwohl er damit eigentlich nichts zu tun haben möchte. Bei einer Flasche Wodka beantwortete er dem Headliner Magazin einige Fragen.

Du bist seit Anfang 2000 ein wichtiger Teil der deutschen Drum & Bass Rave-Kultur. In wieweit hast Du diese auch mit geprägt?

Dass ich die Szene oder auch die Kultur mit geprägt habe, würde ich so nicht sagen. Ich habe mich einfach gut positioniert. Hier ist das Internet von ganz entscheidender Bedeutung, weil ich über die verschiedenen Plattformen, vorneweg natürlich Facebook, auch abseits meiner Auftritte viel Aufmerksamkeit generieren kann. Dabei liegt mein Augenmerk aber darauf, den Namen Stunnah auch unabhängig von der Subkultur zu prägen.

Kann man umgekehrt sagen, dass Dich die Rave-Szene geprägt hat?

Nein! Meine Auftritte auf den großen Raves sind für mich ganz klar Business. Stücke, die mich musikalisch begeistern, finden auf solchen Veranstaltungen nur sehr selten Platz. 2004 habe ich viel mit Chris Impuls gemacht, der schon damals eine etwas minimalere und experimentellere Linie gefahren hat. Und als, es muss wohl 2007 gewesen sein, dBridge und Instra:mental ihren ganz neuen Umgang mit Drum & Bass populär machten, habe auch ich meinen Sound in dieser Sparte von Drum & Bass zu 100% gefunden.

Inzwischen ist auch die englische Szene auf Dich aufmerksam geworden und es kam zu Bookings in England. Wie kam es dazu?

Hier haben sicherlich mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Die wichtigsten waren wohl eine hohe Reputation durch Können und ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Dass dabei auch Verbindungen eine wichtige Rolle spielen, lässt sich natürlich nicht leugnen. Hast du allerdings nichts drauf, bringt dich auch die beste Connection nicht weiter.

Wer war Deine Connection?

Zur Random Concept haben mich die Veranstalter Garry K und Presha direkt gebucht, die ich von Veranstaltungen aus Deutschland kenne. Für die Innovation hat Phantasy die wichtigen Fäden gezogen. Phantasy kenne ich schon länger von den Veranstaltungen der Bremer Lifeline-Promotions und ich war von Anfang an down mit ihm.

Du warst letztes Jahr bei den englischen Drum & Bass Arena Awards als bester Newcomer MC nominiert. Auch wenn dieser Status durch die vielen Stimmen aus Deutschland ein wenig relativiert werden muss, hat diese Nominierung doch sicherlich neue Aufmerksamkeit generiert?

In diesem Punkt wurde ich stark desillusioniert. Ich habe mir sowohl von den Bookings in England und den darauf folgenden CD-Packen, sowie von der Nominierung wesentlich mehr versprochen als im Endeffekt eingetreten ist. Es kamen zwar ein paar Promoter auf mich zu, aber es kam kein weiteres Booking zustande. Gefreut haben mich allerdings einige wirklich coole Mails von englischen Ravern.

In vielen Köpfen ist auch heute noch die Herkunft aus dem `UK¬¥ ein Qualitätsmerkmal. Für `D¬¥ kann man das nicht gerade behaupten. Hat das vielleicht eine Rolle für die englischen Veranstalter gespielt?

mc stunnahDas ist natürlich möglich. Aber ich glaube, das Problem ist eher ein anderes. Ich würde behaupten mein sprachliches Niveau beim Rappen ist höher als das vieler native Speaker aus England. Überhaupt orientiert sich die gesamte Topriege englischer MC an dem ca. 1996 von Skibbadee gesetzten Standards bezüglich der Reimschemata. Da hat sich in den letzten 15 Jahren nichts geändert. Ich breche diese Standards auf und bringe etwas Neues. Aus diesem Grund kam auch die inzwischen sehr enge Verbindung mit Skibbadee zustande. Er hat mich auf einer Party in Bremen gehört und war von meinem Stil so begeistert, dass wir zusammen auf der Bühne und einige Zeit später sogar für die Conspiracy im Studio standen. Es würde sich jedoch für einen englischen Veranstalter einfach nicht lohnen einen MC aus Deutschland einfliegen zu lassen und ihm Gage zu zahlen, wenn es eine Vielzahl an MC aus seiner Peripherie gibt, die weder Flug noch Gage verlangen. Und der Fokus des Publikums liegt sowieso eher auf dem DJ, so dass es ihnen egal ist ob da nun ein guter oder schlechter MC auf der Bühne steht. Von daher ist es für mich wichtiger meinen Status hier zu Lande auszubauen und zu festigen.

Stimmt es, dass viele englische Raver davon ausgegangen sind, Du seist Engländer, weil Du die Sprache so gut beherrscht?

Ja das stimmt! Aber so muss es auch sein. Wenn ich auf Englisch rappen möchte, muss es auch authentisch klingen. Da brauche ich nicht mit einem Schulenglisch oder so einem eloquenten Englisch, wie man es sich aus dem Wörterbuch bauen kann, anzukommen. Es muss von der Phonetik her stimmig sein. Slang, Sprichwörter und Doppeldeutungen sind wichtig zu beherrschen um eine Authentizität zu vermitteln. Man muss sich die Sprache so zu eigen machen, dass über die Reime hinaus auch noch Wortwitz entsteht.

Desweiteren sei es sehr angenehm für Dich gewesen, in England aufzutreten, da dort der Wortwitz auch verstanden wurde. In Deutschland ist das weitestgehend nicht der Fall. Welche Rolle spielt Deiner Meinung nach der MC in Deutschland, wenn Texte zum größten Teil nicht verstanden werden?

Seltsamerweise eine sehr große. Zumindest für die Rave-Kultur. Wenn Andy C ohne MC auftritt, wird es genauso voll, wie wenn ein MC wie Skibbadee mit einem schlechten, unbekannten DJ gebucht ist. Vielleicht sogar noch voller. Aber ich kann dir nicht sagen was die Leute tatsächlich an dem MC kickt. Vielleicht Metrik oder Bühnenpräsenz? Keine Ahnung!

Der Hype-Faktor vielleicht?

Das ist auch möglich. Dann hätten Raveveranstaltungen sogar einen gewissen Pop Charakter. Aber es würde Sinn ergeben. Das würde auch erklären, warum ein Doubletime-MC, der viel rum brüllt und sich in den Vordergrund chattet, schon per se mehr Aufmerksamkeit bekommt als ein Host.

Doubletime Rap ist ein typisches Merkmal von Drum & Bass…

Ja das stimmt. Wobei in letzter Zeit auch nicht mehr so.

Nicht mehr so?

Nach meinem Gefühl ändert sich das gerade sehr stark – seit SP:MC hochgekommen ist. Und inzwischen auch andere wie Verse oder Messi, der den Drum & Bass Arena Newcommer MC Award gewonnen hat. Die Jungs arbeiten eher mit der deeperen Gangart von Drum & Bass, wie sie von Alix Perez oder Lynx produziert wird. In dieser Stilrichtung sind ja generell keine Doubletime-MC zu finden.

Meinst Du Doubletime steuert seinem Ende entgegen?

Das denke ich nicht. Aber ich glaube es wird sich im Laufe der Zeit immer mehr aufspalten. Auf der einen Seite die Doubletime geprägte Rave-Kultur und auf der anderen die musikalisch hochwertigere Deepness-Bewegung mit zurückhaltenden MC. Diese MC haben, was Flow, Präsenz und Auftreten angeht, nach meinem Gefühl eher den ursprünglichen Hip-Hop Charakter. Hier findet auch wieder Sozialkritik in den Texten statt.

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Welche Rolle spielt der Doubletime Rap für Dich? Ist er eine Art Skill-dropping?

Das kann man so sagen. Also in erster Linie macht mir Doubetime natürlich unglaublich viel Spaß und deshalb werde ich es auch weiterhin machen. Es geht mir nicht darum zu zeigen, dass ich dicke Eier habe. Dennoch kenne ich keinen MC in Deutschland, der Englisch so gut, so schnell und so klar aussprechen kann wie ich. Insofern hat es natürlich etwas mit Skill-drooping zu tun.

Ist es auch eine Art Pflicht, wenn Du auf einem Rave auftrittst, Doubletime zu performen, weil es von Dir erwartet wird?

Gewissermaßen schon. Keine Pflicht Anderen, sondern meinem inneren Grinch gegenüber. Wobei es auch vorkommt, dass Leute auf einer Party auf mich zukommen, wenn ich gerade mal nicht Doubletime rappe, und mich auffordern, ich solle mir Mühe geben und so rappen wie sie es von mir kennen.

Also ist Doubletime ein Kriterium für Qualität?

Auf jeden Fall! Ich weiß natürlich nicht ob das generell so ist oder ob das die Assoziation mit Stunnah ist, der mit Doubletime bekannt geworden ist. Die Leute wollen ja in erster Linie das hören, was sie erwarten. Wenn diese Erwartungen dann nicht erfüllt werden, kann ich schon verstehen, dass sie den Eindruck gewinnen, der gibt sich heute keine Mühe. Bei anderen MC, die ebenfalls auf Doubletime aufbauen, würde es mir genauso gehen. Bei typischen Hosts wäre das schon wieder etwas ganz anderes.

Was ist das für ein Gefühl als Künstler, wenn Du merkst oder weißt, dass dich inhaltlich nur wenige verstehen?

Das ist eigentlich gar nicht so schlimm. Denn ich mache das Ganze in erster Linie für mich selbst. Als ich damals angefangen habe ging es mir nicht darum, einmal auf einer großen Bühne zu stehen, sondern um die Liebe zur Musik und zu dem, was ich mache. Das ist auch heute noch mein Ansporn. Was die öffentlichen Auftritte betrifft, ist es auch nicht von großer Bedeutung, weil hier eine positive Resonanz der wichtigste Faktor ist. Und dass dafür kein Textverständnis vorhanden sein muss, haben wir ja schon angesprochen. Natürlich wäre es sehr schön, wenn mich größere Teile des Publikums verstehen würden. Aber das ist ein Bonus auf den ich verzichten kann. Ich weiß warum ich meine Texte so schreibe. Wer das nicht tut hat Pech gehabt!

Du hast die Conspiracy Reihe angesprochen, die Du mit Rusher ins Leben gerufen hast und in dessen Rahmen Kollaborationen mit Skibbadee und Tonn Piper stattfanden. Sind solche Kollaborationen ein Zeichen für die Globalisierung der Szene?

mc stunnahMeine Intention für die Conspiracy hat ehrlich gesagt nichts mit einem Globalisierungsgedanken zu tun. Im Gegenteil sogar. Ich nutze solche Kollaborationen um den Namen Stunnah weiter aufzubauen. Das ist so eine Art Marketingpool für mich. Ich habe die Connection über die Jahre aufgebaut und versuche sie nun so gut wie möglich zu nutzen. Es ist aber auch eine Liebe zum Spiel. Es war einfach cool, die zwei Tage mit Skibbadee im Studio zu verbringen und ihn auch im Alltag kennenzulernen. Menschlich kam dabei unheimlich viel rüber. Es ist etwas ganz anderes, wenn man einem Künstler mit so einem Status außerhalb der üblichen Partys begegnet und kennenlernt.

Ein weiteres Projekt, bei dem Du beteiligt bist, nennt sich AElement. Was steckt dahinter?

AElement ist die Symbiose aus Punk und Drum & Bass Elementen. Den DJ Part übernehmen die Bremer Quincee und Genzo. Dazu kommt eine komplette Bandbesetzung von den Scumpies, einer Bremer Punk-Band und Stunnah als Frontmann. Musikalisch ist es definitiv Drum & Bass. Doch versuchen wir über die Präsentation eine Neukontextualisierung zu erreichen, indem wir hier mehr in Richtung Punk und Rock gehen.

Also versucht Ihr ein Konzertfeeling entstehen zu lassen?

Ganz genau. Das Ziel sind also weniger Raves, sondern eher Konzerte. Wir haben dafür das richtige Management. Ich glaube das wird eine große Nummer. Und es macht jetzt schon sehr viel Spaß.

Im Februar hast Du zusammen mit Spycee die „Heartbeat EP“ herausgebracht. Statt Drum & Bass ist hier aber Hip-Hop und Dubstep zu hören. Geben Dir diese Genres mehr Platz?

Wenn mir ein Song gefällt, möchte ich unabhängig vom Genre, einen Text darauf schreiben. Hip-Hop ist vom Tempo ähnlich wie Drum & Bass zu handeln, da es sich etwa bei der Hälfte bewegt. Dubstep liegt mit 140 BPM dazwischen und ist alleine wegen der Grime-Verwandtschaft sehr interessant für mich. Wichtiger als die Geschwindigkeit ist die Songstruktur der Stücke. Ein Mixingtool ist eben kein Song. Am liebsten würde ich singen. Das kann ich aber nicht. Immerhin habe ich jetzt Autotune. (lacht)

mc stunnah

Was fasziniert Dich am Grime?

Der Rap-Charakter. Hier geht es nicht um Hypen und Pushen durch abgeschmackte Punchlines außerhalb der eigentlichen Bars, wie man es von alteingesessenen Drum & Bass MC kennt. Diese MC würden mit ihrer Technik viele der kommerziell erfolgreichen US-Rapper in die Tasche stecken. Dieser Umgang mit der Sprache fasziniert und inspiriert mich. Damals haben mich unter anderem Skibbadee und Stevie Hyper D auf die gleiche Weise inspiriert.

Der amerikanische Musikkritiker Frere Jones hat das Genre folgendermaßen beschrieben: „Grime sounds as if it had been made for a boxing gym, one where the fighters have a lot of punching to do but not much room to move.“

Ja das trifft zu 100% zu. Wobei dieser „not much room to move“ ein notwendiges Übel ist, das Doubletime initiiert. Hier werden so viele Silben wie möglich zwischen die Bars gepresst, bis unter Druck ein funkelnder Diamant entsteht. Ich war auch bei Drum & Bass immer MC fixiert. Grime ist ein MC Ding, weil es aus dem MC-Faktor heraus entstanden ist. Es muss nicht schlimm sein, wenn der MC im Vordergrund steht.

Nochmal zurück zur Heartbeats EP: Bei Sweet Harmony lasst Ihr den Oldschool Klassiker im Dubstep Gewand erscheinen und Du rappst über das Gefühl der Liebe. Ist durch die Verwendung des Klassikers auch die erste Verliebtheit zur Musik in deinen jungen Jahren Thema?

Ja stimmt. Das könnte man so sehen. Aber das ist nicht bewusst passiert. Der Beat existierte schon zwei Jahre in der Schublade von Spicee. Als ich ihn gehört habe, wollte ich sofort einen Text darauf schreiben – was wir auch getan haben. Von daher steckt keine bewusste Zweideutigkeit bezüglich des Samples drin – jedoch eine schöne Interpretation.

Wie viel Persönliches steckt in Deinen Texten?

In den Drum & Bass Texten steckt so gut wie gar nichts. In den langsamen Stücke steckt wesentlich mehr, da ich mir eine höhere Verständlichkeit der Texte erhoffe. Ich gehe davon aus, dass die Stücke aufgrund gegebener Songstruktur öfter gehört und sich mehr mit den Texten auseinandergesetzt wird, als es bei einem Mix der Fall wäre. Ich bin ein sehr verkopfter Mensch. In einigen Songs findet sich die Verkopftheit wieder, weil die Texte oft aus verkopften Situationen heraus entstanden sind.

Danke für das Interview.

Interview: Christian Kinkel

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 14 (Mai 2011) des Headliner Magazins veröffentlicht und erscheint mit freundlicher Genehmigung.