Willkommen zu Teil II – die rasante technische Entwicklung hat das digitale Produzieren und Auflegen gleichermaßen revolutioniert und England wurde ein weiteres Mal der zentrale Umschlagplatz für frische Beats.
Zu Teil Eins der Serie geht es hier entlang: History Of The Future – Part I
Beginnen wir mit zwei kreativen Unfällen aus dem Jahr 2000: Shimon und Andy C drückten versehentlich den falschen Knopf am Sampler und so erblickte mit „Bodyrock“ das erste Shuffle-DnB-Stück das Licht der Welt. J Magik bekam vom Houselabel Defected eine Single zugeschickt, und spielte diese – ebenfalls aus versehen – bei 45 rpm ab. So bekam Hatiras´ „Space Invader“ ein DnB-Upgrade und House-Drum and Bass war geboren.
Andy C & Shimon – Bodyrock (2000)
Hatiras – Spaced Invader (J Majik Remix) (2001)
Sub Focus – Time Warp (2008)
Im Jahr 2000 begannen die „Five Minutes Of Fame“ des 2-Step. Der Beat lief bei ca. 135 bpm. Hochgepichte Snaresounds, Offbeat-HiHats und der Swing der UK-Garage-Platten aus den 90ern waren die wichtigsten charakteristischen Merkmale. Als Bass dienten gängige DnB-Sounds. Die 2Step-DJs waren es auch, die als erste den zeitlosen Timo Maas Remix von „Dooms Night“ (Original: Azido Da Bass) für sich entdeckten. Kurz darauf hörte man die Platte in jedem House-und Techno-Set. Auch DJ Zinc veröffentlichte auf den ersten Platten seines Labels Bingo Records unter dem Synonym Unstable ein paar feine 2-Step Lieder. Sein „138 Trek“ war damals einer der Klassiker. Diverse DnB-Produzenten witterten das große Geld und sattelten komplett um. Denn 2Step hatte damals in England deutlich mehr Chartpotential. Doch dieser Traum platzte schneller als die erste Internetblase und zwei Jahre später war der Spuk schon wieder vorbei.
DJ Zinc – 138 Trek (2000)
Azzido Da Bass – Dooms Night (Timo Maas Remix) (2000)
Das so entstandene Vakuum wurde schnell kreativ gefüllt: Auftritt Broken Beat und Neosoul (souliges Pendant zu Nujazz). Gebrochene Beats bei 120 bpm, gebaut aus Funk- und Jazzsamples, wurden mit E-Piano und souligen Vocals kombiniert. Die Grooves orientierten sich an Afrobeat oder Calypso. Ein kleiner Club im Londoner Eastend namens Plastic People wurde zum Epizentrum des neuen Sound (wenig später fanden hier auch die ersten Dubstep-Partys statt). Künstler wie Simbad aus England, aber auch die deutschen Jazzanova und Rainer Trübi sind mit diesem Stil bis heute erfolgreich. Ihre Produktionen entstehen oft auf analogen Geräten.
Jazzanova – Coffee Talk (2000)
Dann bastelten einige junge Produzenten zum Teil sehr trashige Beats für ebenso junge HipHop-MCs: Grime war geboren – und wurde mit The Streets schon bald salonfähig. Grime war der erste Stil, der bewusst komplett im Computer entstand. Produziert wurde vor allem mit Reason von Propellerheads, die bereits einige Jahre zuvor mit Rebirth auf sich aufmerksam gemacht hatten. Rebirth bestand aus der spartanischen Simulation zweier TB 303s, einer TR 808 und einer TR 909. Reason dagegen fasste ein komplettes Studio auf einer Oberfläche zusammen. Wer nicht das Geld für wesentlich aufwendigere Programme wie Logic, Cubase oder gar ProTools hatte (plus Outboard Equipment), dem bot sich nun eine erschwingliche, einfach zu bedienende Alternative. Reason lief außerdem problemlos auf den damals gängigen Laptops.
The Streets – Has It Come To This? (2001)
Ein weiteres Programm, das zuerst für die Generation Laptop produziert wurde, war Ableton Live. Es war vor allem für Live-Acts gedacht, und führte sämtliche Manipulationen in Echtzeit durch – auch das bis dahin extrem aufwendige Timestretchen. Liquid Audio war das Zauberwort. Loops und Samples wurden in den Händen des Künstlers zu flüssigem Wachs, das er nach Belieben formen konnte.
Zurück zur Musik: In Croydon, einem kleinen Nest südlich von London, versuchten einige 2-Step-Produzenten mit vertrackten Rhythmen und düsteren Atmosphären neue Wege zu gehen. Skream und Benga bastelten in dieser Zeit ihre ersten Tracks. Laut Skream kursierte eine zeitlang der Name „Ragage“ für den neuen Sound. Wenig später hieß Dubstep Dubstep und ging als Bassbeben mit Halftime-Beat um die Welt. Junge Produzenten wie Skream und Benga machten alles im Rechner. Benga arbeitete lange mit Fruity Loops. Kode 9, Produzent der „alten Schule“, hatte in den 90ern schon Jungle produziert. Das Herzstück seines Studios ist ein Moog Voyager (Flaggschiff der legendären Synthischmiede). Am Erfolg dieser unterschiedlichen Künstler zeigt sich ein weiteres Mal, dass wahrer Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Die neue Szene traf sich ab dem Jahr 2002 im ersten Stock von Big Apple Records, einem Plattenladen in Croydon. Dort war ein dickes Soundsystem installiert, und man konnte hören worum es eigentlich ging: Subbass!
Skream – Midnight Request Line (2005)
Ähnlich wie Black Market in den 90ern für Breakbeat und DnB, wurde Big Apple zum Mittelpunkt im Dubstepuniversum. In der Sputnik Bar (Croydon) und Plastic People (Londoner East End) testeten Skream, Benga, Digital Mystiks, Kode9,… ihre neuen Dubplates. Mit Mary Anne Hobbs fand sich bald eine Radio-DJane, die den Sound bei Radio1 über den Äther schickte. Die Produktionsweise der Dubstep Produzenten hatte in anderen Stilrichtungen ein unglaubliches kreatives Potential freigesetzt: Drum & Bass war nie so vielfältig wie heute. Und das liegt nicht zuletzt an Labels wie Medschool und Exit Records, die jenseits des Tempodogma frische Beats veröffentlichen. Auch ist es mittlerweile fast schon normal, dass DnB-Produzenten unter gleichem Namen auch Dubstep veröffentlichen. Chase & Status, Subfocus und Dirtyphonics sind einige prominente Beispiele. Andere, wie der JumpUp-Produzent Hazard kombinieren das Halftime-Feeling mit dem Tempo des DnB –> Drumstep.
Chase & Status – Flashing Lights (Feat. Sub Focus & Takura) (2011)
Dub Phizix and Skeptical feat. Strategy – Marka (Exit Records) (2012)
Quasi zeitgleich mit der Entstehung des Dubstep ersetzten Computer immer mehr Aspekte der Musikproduktion. Ein Programm möchte ich hier besonders hervorheben: Recicle zerlegt Loops in ihre Einzelteile und verteilt diese auf einer virtuellen Tastatur. Die Firma Spectrasonics programmierte, basierend auf dem selben „Remix-Prinzip“, einen virtuellen Drumsampler der es einem ermöglicht, Midifiles der mitgelieferten Loops per Drag & Drop zu extrahieren und beliebig zu manipulieren. Mit steigender Leistungsfähigkeit der Rechner wuchsen natürlich auch die Möglichkeiten. Während Geräte wie die Bandmaschine oder der Drumcomputer bereits seit langem in den Abstellkammern der Studios versauerten, gab es jetzt digitale Simulationen von klassischen Synthesizern, EQs und Kompressoren. Die erste Generation stand klanglich bis auf wenige Ausnahmen weit hinter den Originalen zurück. Mittlerweile ist es sogar möglich, Produktionen auf professionellem Niveau komplett im Rechner abzuwickeln. Was das produzieren von Beats angeht, so kann man sie jetzt nach Lust und Laune stimmen, trimmen, be- oder entschleunigen und mit einem großen Arsenal von Effekten bearbeiten. All das in Echtzeit! Mixtechniken wie Sidechaining oder Parallelkompression sind heute nur noch ein paar Mausklicks entfernt. Was die Details der virtuellen Klangerzeuger angeht, kann ich euch die Headliner- Kolumne meines Kollegen TGM wärmstens empfehlen. Ansonsten viel Spaß beim schrauben, hören und entdecken.
Text: Claas Sandbothe
Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 15 (Dezember 2011) des Headliner Magazins veröffentlicht und erscheint mit freundlicher Genehmigung.
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