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Gibt es Menschen, die keine Musik mögen? Menschen, die sich nicht gerne Filme schauen? Gibt es Menschen, die sich nicht wie Sonnenblumen Richtung Sonne drehen, wenn sie an der Bushaltestelle stehen und die Sonne durch die Wolken bricht? Gibt es Menschen, die keine Bilder im Kopf haben, wenn sie Musik hören? Für mich waren Bilder und Musik immer sehr verwandt. Ich sehe Bilder, wenn ich Musik höre, ich höre Musik, wenn ich in der Natur bin. High Contrast kam aus der Welt des Films und beschäftigt sich nun fast ausschließlich mit seiner Musik. Photek hingegen hat die umgekehrte Entwicklung gemacht. Ich war schon immer am selben Ort und werde auch immer hier verweilen. Im Dazwischen, im Überall und Nirgendwo.

Es ist Samstag abend und vor uns präsentieren sich diverse vietnamesische Delikatessen. Die Kellnerin bringt mir noch ein Grolsch und ich lasse mich für einen Moment von meinem Essen ablenken. Ihre weissblonde Kurzhaarfrisur erinnert mich an Robyn, die ich letzten Monat hier in Amsterdam live erleben durfte. Auch schön. Back to the program: Dim Sum Buffet Dinner in Leiden, einem Vorort von Amsterdam, mit Marcus Intalex, Lynx, Switch, Dan Stezo und Lenzman. Am Nebentisch sitzen Airpark, Staned und Zwergie. Die Stimmung ist gemütlich und heiter, das Essen vorzüglich und ich genieße die Anwesenheit guter Freunde, die ich viel zu selten sehe. Wie so oft bei Menschen, die eine Leidenschaft teilen, beherrscht diese auch unser Gespräch. Es geht um Releases, Gigs, Smalltalk aus der Szene, und zwischen Marcus, Lynx und mir auch um Vorbereitungen für das Album im September. Irgendwann frage ich, dessen Leidenschaft für Musik schon immer dicht gefolgt wird von der Leidenschaft für Visuelles, wie es denn bei den Jungs so ausschaut mit Filmeinflüssen bei ihrer kreativen Arbeit.

Marcus lehnt sich zurück und kündigt eine Anekdote an, die er schon immer erzählen wollte, es sich aber nie die richtige Gelegenheit bot. Es gibt einen Film namens The Cooler, dessen Soundtrack hauptsächlich aus Kompositionen von Mark Isham besteht. Diese bestechen mit ihren launischen Streichern, eleganten Atmosphären und glorreichen Sound Kollagen. „Ich wollte immer schon Teile des Stücks am Ende vom Film samplen, weil es so voller Gefühl ist. Also habe ich den Soundtrack gekauft und gesampled, konnte aber leider nie den Track machen, den ich mir so vorgestellt hatte. Nachdem Klue eines Tages im Studio vorbeikam und die Samples hörrte, hat er den Track selber gesampled und daraus entstand ‚Hell Hath No Fury‘.“

„Ich habe mir direkt den Soundtrack gekauft und ihn zu Tode gesampled. Auch habe ich aus verschiedenen Parts diverse Riffs gebaut, indem ich sie gepitcht habe. Es entstand auch ein Track, der zwar gut war, aber meiner Meinung nach nicht der Schönheit des Samples würdig war. Eines Tages kam Klute im Studio vorbei und ich teilte ihm meine Begeisterung für den Soundtrack mit. Kurze Zeit darauf sampelte Klute selber einen Track aus dem Soundtrack ‚Äì ‚ÄöLeaving Las Vegas‚Äö von Mark Isham. Er legte einen Amenbreak darunter und veröffentlichte es als ‚ÄöHell Hath No Fury“. Mir fiel nicht viel ein, außer einem „Wow“ und die Frage ob ich das so drucken dürfte. Nach seiner Bestätigung nahm ich noch einen Schluck von meinem Drink und drehte mich zu Lynx. „Wie schaut’s bei dir aus?“ Lynx: „Definitiv Space Oddysee 2001. Der Film ist so episch und so minimalistisch großartig. Das hat mir immer sehr imponiert und mich auch inspiriert. Also, nicht die Musik selbst, sondern die Herangehensweise an sich.“ Ich fragte: „Also hat dich der Film kreativ inspiriert, nicht musikalisch?“ Lynx: „Ja, so kann man das sagen… Und… bei dir, Kemo?“

Wie schaut es bei mir aus… Reisen, zwischenmenschliche Beziehungen, persönliche Erfahrungen, Musik, Geschichte, Politik… all das und mehr beeinflußt mein Wesen und meine Arbeit. Aber Inspirationen aus Filmen machen bis zu 70% meiner Texte aus. Nicht, dass ich Lieder über Filme schreibe, aber ich benutze die Stimmungen und Bildsprachen aus Filmszenen um Gefühle, Gedanken, Umstände und Szenarien zu beschreiben. Als wären die Filmszenen Farben, in die ich meinen Stift tauche, um Kollagen meines Inneren zu malen. „Carnivale“ ist ein gutes Beispiel. Die Bildsprache und die Stimmung ist stark angelehnt an eine meiner Lieblingsserien, die wohl leider nie in Deutschland ausgestrahlt wurde. Sie trägt den gleichen Namen wie der Track und handelt grob von dem Kampf zwischen Gut und Böse in einer unglaublich mystischen Welt voller Magie. „Taro Cards…. Babylon… A fake minister … Telepathy…“ Diese Bilder und Themen kommen auch in der Serie vor, aber es ist hauptsächlich die Grundstimmung der Serie, die ich versucht habe, in dem Song zu vermitteln. Diese dunkle, mystische Stimmung, die unter die Haut geht und sich sowohl gefährlich als auch richtig anfühlt. Zu der Bildsprache der Serie kommen noch weitere dazu: Nadsat – eine Art Russisch Slang aus Clockwork Orange, und Aramäisch ‚Äì eine Sprache des Alten Testaments. Ein weiteres Beispiel ist „Global Enemies“. Darin tauchen Szenen aus The Matrix und Minority Report auf. Bei einer Zeile wie „Cops will roam the zone, dispatch drones, scan eyeballs and detect clones“ soll jeder seine eigene Bilder im Kopf haben, aber wenn man will, kann man auch genau die Szene sehen, wo Tom Cruise sich in der Badewanne vor den Dronen und der üblen Zukunftspolizei verstecken muß. Der Augenscan kann aber auch von Bladerunner sein. Oder auch von einer Einreise in die Vereinigten Staaten. Schon heute sehr real.

Bladerunner prägte nicht nur meine Bildsprache und gar mein Wesen, sondern auch eine Vielzahl anderer Künstler. Referenzen an Bladerunner kann man in den Texten von Del the Funkee Homosapien finden sowie in den Sounds von Ian Brown, dem Artwork von Iron Maiden und der Musik von White Zombie. Im Drum & Bass Bereich denke ich dabei direkt an den Jungle Klassiker „The Angels Fell“ von Dilinja, mit Sprachsamples und Synth Pads die eine gewisse Vangelis Nähe aufweisen. Auch muß ich an den Tech-Step Klassiker „Technology“ von Ed Rush & Nico denken. Letzterer brachte gemeinsam mit DJ Trace einen weiteren Bladerunner inspirierten Track heraus namens „Replicants“. Es gibt auch eine ganze Reihe weitere Drum & Bass Klassiker die von anderen Filmen inspiriert wurden, wie z.B. der Oldskool Klassiker Terminator von Rufige Kru. Einer der größten Hymnen von 2003 ist von The Matrix inspiriert ‚Äì „Neo“ von Hive. Außerdem ist „The Force“ von Teebee voller Star Wars Samples, vom Atmen von Darth Vader über jagende Pod Geräusche. Im selben Jahr, 2005, veröffentlichte Chris SU eine Hommage an Solaris mit gleichnamigen Titel. Zwei Klassiker die meine Drum & Bass Entwicklung sehr geprägt haben sind Shy Fx Feat. UK Apachi’s „Original Nuttah“ mit einem Sprachsample aus dem großartigen Gangsterfilm Goodfellas und der „True Playaz Anthem“ von DJ Hype mit einem Monolog aus dem Gangsterfilm überhaupt Scarface.

Menschen kreieren um sich auszudrücken, sich mitzuteilen, zu kommunizieren. Meist um eine Reaktion zu bekommen, im Grunde, um verstanden zu werden. So wie die Höhlenmenschen sich mit ihren Zeichnungen ausdrückten, so taten sie das auch mit primitiven Instrumenten wie einfachen Flöten und durch das Trommeln auf Stalaktiten. Selbst im Tierreich wird Gesang als Kommunikationsmittel benutzt, von den Paarungslauten und der Revierverteidigung der Vögel, über die komplexe Sprache der Delphine bis hin zum symphonischen Arrangement eines Walgesangs. Pfauen benutzen ihre Schleppe um Fressfeinde zu verscheuchen. Hierbei imitieren die Kreise auf ihren Federn Augen von großen Säugetieren. Lebewesen benutzen also sowohl visuelle als auch akustische Signale, um zu kommunizieren. Und diese Sprache des Dschungels, ob Urwald oder Urban ist mit einander verstrickt und tief verwurzelt. Es ist universell. Universe. Una = ein, Verse = Song … Universe = One Song.

Words: Jimmy Blitz

Dieser¬†Artikel wurde in der Ausgabe 04 (Juni/ Juli 2008) des¬†Headliner Magazins¬†veröffentlicht und erscheint mit freundlicher¬†Genehmigung.